Für alle, die möglicherweise an den vergangenen beiden Sonntagen Partiekommentierung oder problematische Aufgaben vermisst haben, ich begleitete 9 Tage lang die Delegation Schleswig-Holsteins bei den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften 2025 nach Willingen.
Am ersten Sonntag ist üblicherweise Doppelrunde und man ist als Trainer den ganzen Tag mit Schach beschäftigt und am letzten Sonntag Heimreise.

Dafür gibt es heute gleich drei Partien. Meine ganz persönliche Auswahl an Highlights aus den vergangenen Tagen! Dass es sich dabei um zwei in Willingen sehr erfolgreiche Spieler und in allen drei Fällen um Lübecker Spieler:innen handelt, ist dabei neben dem Können unserer Jugendlichen reiner Zufall!

Beginnen wir mit der Nr. 1! Einer wahren Nummer 1!!

Zum ersten Mal durfte ich die SHO-Delegation 2012 begleiten. Schon damals war Malte Ibs Delegationsleiter und ich war eher zufällig dabei, da ich seit ein paar Monaten zwei Lübecker Jugendliche, Martin und Kevin Kololli, trainierte. Daraus wurde eine jahrelange Zusammenarbeit, für die ich sehr dankbar bin. Damals fuhren wir noch nach Oberhof, es gab weder U8 noch U10 Turniere und in der U12 spielten Mädchen und Jungs noch gemeinsam und es wurden in der damals jüngsten Altersklasse noch 11 Runden gespielt.
Jetzt 13 Jahre später hatten Martin und Fin Niklas Tiedemann - Kevin, Martin, Alexander Rieß und Fin holten im Dezember 2012 den DVM U12 Titel nach Lübeck - beschlossen, ein letztes Mal als Spieler an den Deutschen Jugendeinzelmeisterschaften teilzunehmen. Die DSJ ermöglicht dieses, in dem sie jedes Jahr parallel zu den eigentlichen Meisterschaften ein Open ausrichtet, an dem Spieler:innen U25 ohne Qualifikation teilnehmen dürfen. Ich freute mich sehr darüber, die beiden mal wieder am Brett zu sehen. Beide spielten laut Datenbank bei der DVM im Sommer 2021 - auch in Willingen - ihre letzten Turnierpartien und konzentrierten sich danach auf ihr Studium.
Beide zeigten, dass sie das Schachspielen noch nicht verlernt haben. Fin holte mit 4,5 / 9 die Hälfte der möglichen Punkte und bei Martin konnte man nur staunen. Er dominierte geradezu seine Gegner und das Turnier und holte Punkt auf Punkt. Das morgendliche Bulletin konnte spätestens nach Runde 5 kaum noch Superlativen finden. Aber Martin punktete weiter. 7 Partien gewann er in Folge, bis er zum ersten Mal in ein Remis einwilligen musste. Und auch, wenn die Presse es anders darstellt, auch diese Partie wollte Martin gewinnen. Zumindest war er im Anschluss noch im Analyseraum, zeigte mir die Partie und wir suchten gemeinsam noch nach Möglichkeiten für Weiß und Schwarz. Die Partie ist auch im DEM-Stream (https://www.youtube.com/watch?v=5wVtEkbUA0E) auf youtube zu finden. Und wer glaubt, Martin ließe es am letzten Tag dann austrudeln, nein, auch dieses Remis ist ausgespielt und erst gewährt, als Martin kein ausreichendes Gewinnpotential mehr in der Stellung sah!
Es war großartig, diesen reifen jungen Mann, den ich als Jugendlichen so lange betreut hatte, wieder am Brett zu sehen. Immer gelassen, immer freundlich. Bravo Martin!

Man könnte hier jede seiner Partien zeigen, ich habe mich für die Partie aus Runde 6 entschieden, die auch so die ein oder andere Erinnerung an alte Tage in mir weckte...

Kommen wir zur Nr. 2, die eigentlich auch eine Nr. 1 ist!

Levi Malinowsky, den ich auf dieser DJEM als Trainer betreuen durfte und der ähnlich wie Martin eine riesen Leistung zeigte. Levi musste erst ein wenig warm werden und gab in den ersten beiden Runden zwei Remisen ab. Aber Levi lies sich dadurch nicht verunsichern, bleib ruhig und gewann dann auch glatt zwei sehenswerte Partien. In Runde 5 spielte sein Gegner mit Weiß nur auf den halben Punkt und es gab wenig Chancen für Levi die Partie in eine andere Richtung zu lenken. Aber schon in der nächsten Partie überspielte Levi seinen Gegner in einer sehenswerten Kurzpartie. Gegen Alberto Atoyan geriet Levi erstmals in eine schwierige Lage. Wir hatten die Eröffnung nicht erwartet und Levi verließ sich auf eine Variante aus einer Partie vom Tegernsee, die er wohl schlecht nachbereitet hatte! Das hätte gut ins Auge gehen können, aber sein Gegner verpasste die gute Gelegenheit, den Figurendruck am Königsflügel zu erhöhen und ließ Levi noch einmal entkommen. Am nächsten Tag stand dann die Partie der beiden Setzlisten-Ersten und späteren Turniersieger an.
Und Levi hatte wieder Schwarz!-(
Wie bereiteten uns vor allem darauf vor, dass nach Tegernsee und Willingen, die gerade soeben misslungene Variante noch ein weiteres Mal aufs Brett kommen könnte. Damit gewappnet konnte Levi ruhig schlafen gehen, den Rest musste man am nächsten Tag am Brett sehen.

Damit war Levi Tabellenführer und hatte einen halben Punkt Vorsprung auf den Rest des Feldes. Da die Buchholz-Wertung an diesem Tag noch eher für die anderen Spieler sprach, war ein Titel am Folgetag aber nur mit einem vollen Punkt drin. Levi hatte Weiß, aber sein Gegner hatte ein recht zuverlässiges Schwarz-Repertoire und wir versuchten ihn in der Eröffnung etwas zu überraschen. Das gelang nicht ganz. Der Gegner konnte doch früher ausgleichen, als wir uns das gewünscht hätten und Levi bot im 21. Zug selbst frustriert Remis an.
Doch die Meisterschaft war noch nicht gegessen. Mittlerweile hatte sich die Buchholzwertung der beiden Erstplatzierten dramatisch angenähert und wäre am Ende eine der letzten Partien in dieser Altersklasse anders geendet, dann wäre Levi Deutscher Meister gewesen. So entschied ein halber Buchholzpunkt gegen ihn und Mykola Korchynskyi wurde Deutscher Jugendeinzelmeister U16.
Levi bleibt Meister der Herzen. Ungeschlagen, punktgleich, mit einem Sieg gegen den Meister. Levi hat ein tollen Turnier gespielt. Ähnlich wie Martin sieht man ihn stets ruhig am Brett. Er weiß was er will und was er kann. Tolle Leistung Levi! Weiter so!!

Die Nr. 3, die ich zum Abschluss zeigen möchte, ist mir im Analyseraum eher zufällig über den Weg gelaufen, hat mir aber so gut gefallen, dass ich sie zur Partie des Tages vorgeschlagen habe. Leider hatte die DSJ zwar die Einreichung solcher vorgesehen, im Bulletin aber nie eine veröffentlicht. Daher möchte ich das hier nachholen.

Zufällig ist auch hier eine Lübeckerin beteiligt. Levis Schwester Celina spielte im B-Open mit und hatte es in Runde 8 mit einem 1. b3-Spieler zu tun. Ihr Gegner Lucas Jakob hatte in diesem Turnier schon drei Partien mit dieser Eröffnung gewonnen. Aber Celina hatte sich gut vorbereitet und spielte im Stile Spasskijs - wer die Partie Larsen - Spasskij, Belgrad 1970 nicht kennt, sollte das selbst nachholen oder auf eine andere Ausgabe dieser Rubrik warten - eine Glanzpartie, die sich sehen lässt.

Schön gemacht Celina! Ich würde zu gerne wissen, was Ilya Odessky in seinem "Winning Quickly with 1. b3 and 1. ... b6" zu so einer Partie sagt. Wie man schnell gegen 1. b3 gewinnt, hat Celina hier blendent gezeigt. Entwicklung, Zentrumskontrolle und Königssicherheit! So einfach kann Schach sein!

Soweit meine ganz persönlichen Impressionen von der Deutschen Jugendeinzelmeisterschaft 2025 in Willingen. Es gäbe sicherlich noch viele weitere spannende Partien oder Spieler zu erwähnen, aber irgendwann muss auch gut sein.