Lübecker Schachverein von 1873 e.V. – Krause

Details: Ullrich Krause; Veröffentlicht: 27. März 2016; Zugriffe: 4891

Bei den diesjährigen Landesmeisterschaften wurden in der Meisterklasse einige bemerkenswerte Partien gespielt. An einer davon war ich beteiligt, und obwohl ich diese Partie verloren habe, überwiegt die Bewunderung für das wirklich schöne Angriffskonzept des Schwarzen - so verliert man gerne!

[Event "Büsum"] [Site "Büsum"] [Date "2016.03.21"] [Round "4"] [White "Krause, Ullrich"] [Black "Kalvaitis, Sigitas"] [Result "0-1"] [ECO "A00"] [WhiteElo "2223"] [BlackElo "2260"] [Annotator "Krause,Ullrich"] [PlyCount "66"] [EventDate "2016.??.??"] 
 1. Nf3 {Beide Spieler waren mit 2,5 aus 3 exzellent in das Turnier gestartet. Meine Einstellung war trotz der Tatsache, dass es sich um die Nachmittagsrunde einer Doppelrunde handelte, durchaus kämpferisch, und ich nahm an, dass das auch für meinen Gegner galt. Und in der Tat wurde es eine sehr umkämpfte Partie, in der beide Seiten hart auf Gewinn spielten.} d5 2. d4 Nc6 3. e3 { Diesen Zug habe ich mir von Klaus Bischoff abgeschaut, der bei der DEM 2014 auf diese Art und Weise der Tschigorin-Verteidigung den Zahn zog. Die Idee ist, sich ruhig aufzubauen, alle taktischen Möglichkeiten zu vermeiden, die der Schwarze in den Hauptvarianten hat, und letzten Endes nur darauf zu bauen, dass der Sc6 in den entstehenden Damengambit-Strukturen nicht richtig steht. Der Preis, den Weiß dafür zahlt, ist zum einen, dass der Läufer auf c1 innerhalb der Bauernkette verbleibt und zum anderen, dass Schwarz alle Figuren vollkommen problemlos auf aktive Felder stellen kann.} Bf5 4. Bd3 Bg6 5. O-O Nf6 6. c4 e6 7. Nc3 Be7 8. b3 O-O 9. Bb2 Ne4 10. Bxe4 {Dieser Zug ist erstaunlicherweise ein Fehler. Die Veränderung der Bauernstruktur wäre nur dann für Weiß von Vorteil, wenn Schwarz nach 10...dxe4 11.Sd2 f5 12.f3 auf f3 nehmen müsste. Das kann er mit taktischen Sticheleien vermeiden, und danach steht vor allem der weiße Springer auf d2 nicht gut.} dxe4 11. Nd2 f5 12. f3 Bg5 (12... Nxd4 13. exd4 Qxd4+ 14. Kh1 Rad8 {geht vermutlich nicht wegen } 15. Ndb1 {aber auch da bin ich nicht sicher, denn nach} Qxd1 16. Nxd1 Bh5 { gewinnt Schwarz einen dritten Bauern für die Figur. Schwarz dachte über seinen zwölften Zug lange nach, und ich nehme an, dass er 16....Lh5 nicht mehr gesehen hatte. Aber alleine die Tatsache, dass Schwarz ein solches Figurenopfer überhaupt in Erwägung ziehen kann, zeigt schon sehr deutlich, dass der zehnte Zug von Weiß und die damit verbundene Veränderung der Bauernstruktur ein Fehler war.}) 13. f4 {Dieser Zug ist erzwungen, da nach 13. De2 Sxd4 einfach gewinnt.} Bf6 14. Kh1 {Damit wollte ich alle Opfer auf d4 endgültig aus der Stellung nehmen. Der Computer sieht das anscheinend genauso mit dem kleinen Unterschied, dass 14.Se2 seiner Meinung nach der richtige Zug ist. Aber beide Züge sind nicht gerade dazu angetan, mit den weißen Steinen auf Vorteil zu spielen. Fazit: Ich sollte die Variante dringend überarbeiten oder wahlweise Klaus Bischoff um Rat fragen :-)} Qd7 15. Qe2 Rad8 16. a3 Qf7 ( 16... Bxd4 17. exd4 Nxd4 18. Qf2 e3 19. Qxe3 Nc2 20. Qe5 Nxa1 21. Bxa1 Qxd2 22. Ne4 Qd7 23. Nc5 Qf7 24. Nxb7 Rd2 {lautet die Empfehlung von Fritz. Für meine Begriffe steht Weiß in der entstandenen Stellung aber nicht schlechter.}) 17. h3 {Normalerweise sollte Weiß in dieser Struktur am Damenflügel vorgehen und die Bauern am Königsflügel nur im äußersten Notfall ziehen (vgl. "Das Schachspiel" von Siegbert Tarrasch), aber mir erschien es eine gute Idee, mit g2-g4-g5 entweder Raum am Königsflügel zu gewinnen oder wahlweise (nach ... fxg4) den g-Bauern gegen den schwarzen e-Bauern zu tauschen. In der kurzen Analyse nach der Partie äußerte mein Gegner, dass er in dieser Stellung der Meinung war, dass Weiß besser steht. Während der Partie dachte ich das auch, inzwischen würde ich die Stellung als ausgeglichen bezeichnen.} h5 {Das ist der erste von insgesamt drei schwarzen Zügen in dieser Partie, die ich überhaupt nicht erwartet hatte.} 18. g4 {Im Nachhinein betrachtet wäre es doch besser gewesen, den Bauern nur nach g3 zu ziehen. Schwarz hat mit dem Bauernzug nach h5 seinen weißfeldrigen Läufer blockiert, und wenn Weiß auch noch zu h3-h4 kommt, sollte am Königsflügel keine Gefahr mehr drohen. Aber getreu dem Motto: "Besser ein schlechter Plan als gar kein Plan" blieb ich meiner ursprünglichen Idee treu.} hxg4 19. hxg4 fxg4 20. Ndxe4 Bf5 21. Ng3 Bh4 22. Kg2 (22. Nxf5 exf5 23. d5 Ne7 24. e4 Qh5 25. Kg1 fxe4 26. Nxe4 Ng6 { wäre die Alternative gewesen. Ich wollte es allerdings vermeiden, die schwarze Bauernstellung freiwillig zu reparieren und träumte von einem breiten Vormarsch im Zentrum: meine Bauern auf c4 bis f4 gegen den einsamen schwarzen Bauern auf e6. Leider hatte ich dabei die taktischen Möglichkeiten des Schwarzen in Bezug auf einen Angriff auf den König vollkommen falsch eingeschätzt. Den Rest der Partie habe ich trotz der Tatsache, dass ich vom Brett gefegt wurde, genossen, denn der schwarze Angriff ist wirklich sehenswert. Insbesondere der 25te und der 26te Zug von Schwarz haben mich schwer beeindruckt - das waren die von mir nicht erwarteten Züge 2 und 3...}) 22... Bxg3 23. Kxg3 Qg6 24. e4 (24. Rg1 Bd3 25. Qxg4 Qxg4+ 26. Kxg4 Na5 27. Rad1 Bc2 28. Rde1 Nxb3 29. Rg2 {wäre die letzte Möglichkeit gewesen, in ein schlechteres Endspiel abzuwickeln. Aber ich dachte, dass ich mit 24.e4 eine Figur gewinne, und wie bereits erwähnt: Ich wollte diese Partie unbedingt gewinnen.}) 24... Nxd4 25. Qg2 {An dieser Stelle war ich sehr zuversichtlich: Schwarz hat keine direkten Drohungen und der König kann bei Bedarf über h2 nach g1 zurückgehen, auch nach exf5 Sxf5. Den nächsten schwarzen Zug würde ich vermutlich auch dann nicht finden, wenn ich tagelang auf die Stellung schauen würde - dazu ist er einfach zu kontra-intuitiv: Bei einer Stellung mit ungleichfarbigen Läufern erfolgt der Angriff in der Regel auf den Feldern, die die Farbe des eigenen Läufers haben.} (25. Qe3 Nc2 26. exf5 exf5 27. Qf2 Nxa1 28. Bxa1 Qh5 29. Qg2 Rd3+ 30. Kf2 Re8 {und gewinnt wäre der normale weißfeldrige Gang der Dinge.}) {Stattdessen kam...} 25... e5 $3 {Ein wirklich fantastischer Zug! Die Hauptidee ist, sowohl die Diagonale h6-e3 als auch die f-Linie zu öffnen.} 26. fxe5 (26. exf5 Nxf5+ 27. Kh2 g3+ 28. Kh1 Qh6+ 29. Kg1 Qb6+ {ist eine weitere Pointe von e6-e5: Die sechste Reihe wurde geräumt.} 30. Kh1 Kf7 {und gewinnt}) 26... Qh6 $1 {Damit wird der König auf g3 festgehalten. Die offensichtliche schwarze Drohung ist ...De3+, aber viel versteckter und mindestens genauso tödlich ist die andere Drohung ...Se2+ nebst ...Td3+, wonach der weiße König in den Abzug auf der f-Linie ziehen muss. Auch nach 27.Tae1 kommt 27...Se2+! Ein wirklich beeindruckendes Konzept!} 27. Nd5 { Dieser Zug verstopft die d-Line und deckt das Feld e3. Leider kommt a tempo das (ausnahmsweise von mir erwartete) Qualitätsopfer 27....Txd5, das die einzige echte Verteidigungsfigur beseitigt.} (27. Rae1 Ne2+ 28. Nxe2 (28. Qxe2 Qh3+) (28. Rxe2 Rd3+) 28... Rd3+ {in allen drei Fällen mit sofortigem Gewinn}) 27... Rxd5 $1 28. cxd5 Qe3+ 29. Kh2 Nf3+ {Jetzt wird Weiß auf die herkömmliche weißfeldrige Art und Weise zerlegt. Der Turm auf a1 bereitet sich schon seit längerem mental auf die nächste Partie vor...} 30. Rxf3 gxf3 31. Qg3 Qh6+ 32. Kg1 Bxe4 33. Qf2 Rf4 {Chapeau!} 0-1

Krause - Kalvaitis, LEM 2016