Hier der dritte und letzte Teil der Analyse des Damenendspiels aus der Partie Braubach-Krause.

Erstaunlicherweise war das Meinungsbild bei allen drei im letzten Artikel gestellten Fragen nicht einheitlich. Ich möchte deswegen vor einer konkreten Analyse des Endspiels einige allgemeine Überlegungen anstellen. Hier noch einmal die kritische Stellung und die vermutlich besten Züge:

Zunächst einmal hat Schwarz einen gesunden Mehrbauern und zwei Bauerninseln gegen drei. Er hat außerdem die latente Option, seinen König auf der Route f5-e4-d3 zu aktivieren. Alternativ kann er versuchen, mit f5-f4-f3 einen Angriff am Königsflügel in die Wege zu leiten. Wenn er es auf die eine oder andere Art schafft, einen zweiten Bauern zu gewinnen, sollte die Partie entschieden sein. Wichtig ist aber, dass er zwei Optionen hat, d.h. dass Weiß zwei Schwächen zu verteidigen hat. Deshalb ist der Abtausch der Bauern am Königsflügel keine gute Idee, weil dadurch eine weiße Schwäche beseitigt wird.

Weiß hingegen hat das Problem, dass sein König nicht mitspielt und dass fast jedes Bauernendspiel verloren ist. Sein einziger Trumpf ist der Bauer auf a5 bzw. der auf b7 festgelegte schwarze Bauer, den die schwarze Dame unbedingt decken muss. Aus diesem Grund ist der Abtausch der Bauern am Damenflügel keine gute Idee, denn erstens ist der Bauer auf c6 leichter zu verteidigen als der auf b7 und zweitens erhält Weiß durch das Schlagen dieses Bauern keinen Freibauern.

Die oben angegebene konkrete Zugfolge ergibt sich fast zwingend aus der Tatsache, dass passive Verteidigung den Weißen nicht rettet, und dass Schwarz nach Da7 die Drohung a5-a6 nur dadurch abwehren kann, dass er die Dame auf ein gedecktes Feld stellt.

So weit so gut. Leider sind diese ganzen allgemeinen Erwägungen nicht viel wert, wenn es darum geht, den nächsten Zug auszuführen - frei nach Willy Hendriks: "Das einzige, was auf dem Schachbrett zählt, sind gute Züge!" Also frisch drauflos gezogen:

Ganz so leicht ist es aber in Wirklichkeit nicht. Wenn Weiß nach 1....De7 auf die reflexartigen Schachgebote verzichtet (der Fachausdruck lautet Zündorf-Dame), sondern stattdessen einen Wartezug wie 2.Kh2 ausführt, darf Schwarz wiederum nicht zu schnell mit dem f-Bauern nach vorne laufen, weil er dann den Schachgeboten der weißen Dame nicht entgehen kann, ohne einen Bauern am Königsflügel zu verlieren:

Eine anderen Gewinnversuch als ...f5 hat Schwarz aber nicht, weil seine Figurern aufgrund der bereits erwähnten potentiellen Fesselung auf der siebten Reihe aneinandergekettet sind. Anstelle der oben angegebenen scheinbar erzwungenen Züge ...f6 und ...Kf7 muss Schwarz eine andere Möglichkeit finden, diese Fesselung aufzuheben. Und tatsächlich gibt es diese Möglichkeit:

Danach sollte Schwarz auf Gewinn stehen, weil Weiß das Eindringen des schwarzen Königs in seine Stellung nicht verhindern kann. Damit wäre meine ursprüngliche Stellungseinschätzung (80% Gewinnchancen für Schwarz) tatsächlich zutreffend. Aber Weiß kann noch einen letzten Versuch unternehmen, die schwarzen Pläne zu durchkreuzen. Er kann die Gegenüberstellung der Damen auf c5 und c7 und die damit verbundene Fesselung des schwarzen c-Bauern ausnutzen, indem er die Bauernhebel c4 und a6 ausführt und danach mit d5 ohne Rücksicht auf materielle Verluste einen eigenen weit vorgerückten Freibauern bildet.

Das Endspiel mit 3-2 Bauern an einem Flügel ist dann nur Remis. Schwarz darf deswegen nicht auf c4 nehmen, sondern muss stattdessen den Bauern auf d5 verteidigen. Danach könnte die Partie wie folgt verlaufen:

...und es entsteht wieder das Remisendspiel mit 3-2 Bauern. Bleibt also nur der Versuch, mit dem Bauern auf d5 zurückzunehmen mit der folgenden möglichen Fortsetzung:

Auch diese Stellung sähe für Schwarz wegen des aktiven Königs sehr gut aus, wenn Weiß nicht die Möglichkeit 7.Dc5! hätte. Allerdings ist diese Stellung für Schwarz letzten Endes dann doch gewonnen:

Die Analyse dieser Stellung überlasse ich dem geschätzten Leser bzw. meinem Schachprogramm :-) Hier nur eine beispielhafte Fortsetzung:

Alles in allem ein hochinteressantes Endspiel, das vor allem eines beweist: Damenendspiele sind mindestens genauso schwierig wie Turmendspiele, aber seltener Remis...